normale Schrift einschalten große Schrift einschalten sehr große Schrift einschalten
 

Geschichte der deutschen OL-Szene

1000 Wege zum Ziel:

 

Orientierungslauf (OL), Naturerlebnis zwischen Leistungs- und Freizeitsport

 

Eine Betrachtung mit Hintergründen, Geschichte und aktueller Standortbestimmung der deutschen OL-Szene von Bernd Wollenberg

 

Mal abgesehen davon, dass sportartenspezifisch bedingt, ein Orientierungslauf (OL) betreibender Zeitgenosse – nun sagen wir mal – einen doch zumindest „normalen“ Intelligenzquotienten (was ist eigentlich normal?) besitzen sollte, um ständig sich selbst die Frage beantworten zu können, „wo muss ich denn nun hinlaufen“, eignet sich die Sportart OL tatsächlich  für Jedermann  und Jedefrau – und eine Altersgrenze im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Man muss eben „lediglich“ in der Lage sein, eine topographische „Spezialkarte für OL“ lesen, oder besser gesagt, „begreifen“ können.

Erstes Fazit: Orientierungslauf kann jeder betreiben, der es möchte und bereit ist, die notwendigen Grundlagen der Kartenkunde sich zu erarbeiten. Damit das leichter fällt, ist auf den meisten OL-Karten eine Legende mit den wichtigsten Symbolen vorhanden – und, jeder „Neueinsteiger“, der nicht mehr weiter weis, erhält unkompliziert Hilfe. Das kann natürlich auch mal so aussehen, dass ein gestandener Mittsechziger sich von einer 12-jährigen „OL-Spezialistin“ im Umgang mit Karte und Kompass mitten im Wald „unterrichten“ lassen muss…

Voraussetzung für jeden, der OL mal erleben will, muss also sein, dass sie oder er bereit ist, ein wenig Lernbereitschaft zu entwickeln, bereit ist, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Das bedeutet z.B. sich selbst auch einzugestehen, dass niemand fehlerfrei ist und selbst „produzierte“ Orientierungsfehler so manchesmal zu Km-Zeiten führen können, die einem „normalen“ Läufer die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.

Hinzu gehört natürlich, sich gern in der freien Natur bewegen zu wollen – und das bei jedem Wetter und zu jeder Jahres- und Tageszeit.Karte von Babylonien vor 4000 Jahren

 

Liest oder hört – oder ganz selten – sieht in den diversen Medien besagter Interessent (der Einfachheit halber verzichten wir auf die weibl. und männl. Doppelnennung) nun irgendwo mal etwas vom Orientierungslauf, der eigentlich besser Orientierungssport (OS) heißen sollte, weil „OL“ ja nur eine der „OS“-Formen darstellt, verwirrt mitunter schon die vielfache Begrifflichkeit, deshalb erst einmal diese Information, dass es aktuell die nachfolgenden  OS gibt, deren Gemeinsamkeit das Verwenden einer topografischen Spezialkarte („OL-Karte“), einer Geländemarkierung (vgl. die Darstellung auf den Fotos) am jeweiligen vorgegebenen und anzulaufenden Orientierungsposten (OP) sowie das verwendete Posten-Nachweissystem  ist. Letzteres ist speziell in Deutschland inzwischen das Arnstädter „SPORTIdent“ (SI) – in einigen Ländern wird stattdessen „EMIT“ verwendet. Als einziges Hilfsmittel ist ein Kompass gestattet, GPS- oder ähnliche Systeme sind beim Wettkampf verboten.

 

1. Fuß-OL (sagt der Name aus, OL wird zu Fuß betrieben) Die Zuordnung erfolgt seit etlichen Jahren nicht mehr nach der Bahnlänge (in Km), sondern nach den zu erreichenden Siegerzeiten, die zu erreichen durch den „Bahnleger“ im ausgewählten Wettkampfgelände gewährleistet wird. Die Beispiellängen (in Km) sind auf die Spitze der Herrenleistungsklasse „Elite“ (HE) bezogen. Diese OL-Form wird Wettbewerben bei Tag und Nacht betrieben sowie unterschieden in „Einzel“ und „Team“, letzteres nochmal in „Staffel“ oder „Mannschaft“, wobei beim „Mannschafts-OL“ alle Mitglieder eines Teams gemeinsam die Start- und Ziellinie passieren, „unterwegs“ sich aber zum Anlaufen aller OP aufteilen.

Sprint – OL oder Park-OL genannte Kurzstreckenwettbewerbe, bei denen die O-Aufgabe auch schon mal zwischen Neubaublöcken, in Kasernen- bzw. Schulgeländen o.ä. stattfinden kann. Die „Siegerzeiten“, also das vorgegebene „Richtmaß“ eines jeden OL, sollen hier etwa 12 – 15 min betragen, ein Eliteläufer im Männerbereich „schafft“ das so bei etwa 6-7 km Bahnlänge und ca. 15 – 20 Orientierungsposten (OP). Kartenmaßstab 1:4000 oder 1:5000.

Die Routenwahl soll schwierig gestaltet sein, die im urbanen Gelände hohe Laufge-.schwindigkeit im anaeroben Bereich fordert eine hohe Konzentration. Für Zuschauer sehr attraktiv!

Mittelstrecken-OL:  Verlangt ist eine durchweg schwierige Orientierungsaufgabe mit klein- und mittelräumiger Routengestaltung im Maßstab 1:10 000 und – dem jeweiligen Geländetyp angepasster

möglichst hoher Laufgeschwindigkeit dicht an der anaeroben Schwelle. Die Siegerzeiten sollen bei 30-35 min liegen, die HE kann da ca. 7 – 8 km mit 25 bis 35 OP absolvieren.

Langstrecken-OL: In losem Wechsel verschiedene technische Schwierigkeitsstufen bei teilweise auch großräumiger Routengestaltung im Maßstab 1:15 000 sollen ca. 90 – 100 min absolviert werden, verlangt wird hier fast durchweg aerobe Gestaltung der Laufgeschwindigkeit, um die etwa 14 – 17 km mit 20 – 30 OP zu überwinden.

Ultralangstrecken-OL: Routengestaltung mit ähnlicher technischer Herausforderung im Maßstab 1:15 000 wie beim Lang-OL, jedoch mit 135 – 150 min Siegerzeit und etwa 20 OP verlangt durchweg eine gute aerobe Leistung, die immerhin so zwischen 28 – 34 km reichen muss.

 

2.Biathlon-Orienteering

Ein Fuß-OL wird durch zwei Schießeinlagen unterbrochen. Besonderheit in der

Langstrecke ist, dass als erste OL-Teilstrecke ein „Punkt-OL“ über ca. 3 km mit 10 OP absolviert wird, bei dem auf einer abgesteckten „Crossbahn“ diese OP auf einer mitgeführten OL-Karte im Maßstab 1:10 000, Milimetergenau per Nadel markiert werden müssen. Jeder Millimeter Abweichung wird mit 1 Strafminute „geahndet“. Die 2.Etappe ist als „Normal-OL“ angelegt. Das Schießen (liegend und stehend) mit je 10 Schuss ahndet Fehlschüsse mit je 2 Strafminuten.

Die Sprintstrecke sowie der Staffelwettbewerb (in der HE als 3´er Team, alle anderen als 2´er Team) ist auf die einzelnen Bahnlängen bezogen, eher dem Mittelstrecken-OL ähnlich und wird, wie im TV-bekannten Biathlon mit je einmal liegend und stehend und 5´er Serien schießend unterbrochen, Fehlschüsse werden mit Strafrunden (ca. 180 m) „geahndet“.

 

Die Disziplinen 3.Mountainbike-Orienteering (MTBO) und 4. Ski-OL haben mit dem OL zumindest die OL-Posten sowie deren elektronischen Nachweis gemeinsam sowie, dass eine Orientierungsspezialkarte benutzt wird. Die Bahnanlagen sind der Spezifik Fahrrad oder Ski geschuldet deutlich abweichend vom „Fuß-OL“ und sollen deshalb hier, wo es doch um das Laufen geht, nicht näher betrachtet werden.

 

Karte 1890 NorwegenDass das Orientieren eigentlich seit Urzeiten durch uns Menschen betrieben wird, ist sicherlich bekannt, denn sonst wären unsere jagenden und sammelnden Vorfahren schlicht in ihren Höhlen verhungert. Ohne einen geschärften Orientierungssinn hätten sich die Mammuts und andere „Urviecher“ oft tagelang bis zu deren Ermattung verfolgenden Jäger niemals zu „Frau und Kind“ zurück gefunden. Moderne Menschen nutzen inzwischen ein „Navi“ – und das Ergebnis kennen wir ja: Zeigt es mal was Falsches an, „ist Ebbe im Karton“. Wohl dem, der dann eine Karte dabei hat… Aber „Karte lesen“…? Jaja, auch das fällt neuerdings immer schwerer, die jüngeren helfen sich dann schnell mit Smart- und sonst was für „-phonen“, „Streetview“, „googeln“, und, und, und… Es steht zu befürchten, dass damit die fast 6000-jährige Erfolgsgeschichte der Orientierungskarte zu Ende geht. Ja, Ihr habt richtig gelesen: seit fast 6000 Jahren existieren Zweidimensionelle Darstellungen der Dreidimensionalen Realität! Die Hochkulturen der alten Ägypter, Assyrer oder Chinesen bedienten sich für Handel, Kriegsführung oder auch Grenzerkennung schon gezeichneter Informationen, die zumindest, wenn natürlich längst nicht maßstabgerecht doch eine gewisse Orientierung erlaubten, z.B. die berühmten Steinkarte von Babylon* – immerhin 4000 Jahre alt. Vor rund 6000 Jahren hatte die hierzulande fast unbekannte mittelamerikanische „Mexico-Olmec-Kultur*“ bereits Kenntnisse vom Erdmagnetismus und verwendeten eine Art Magnetnadel. Knapp 2000 Jahre später verwendeten chinesische Regierungsbeamte für die ihre Arbeit beim Kaiser Vorläufer des Kompasses zur Aufrechterhaltung der Machtansprüche. Um 700 n.Ch. nutzten arabische Seefahrer Magnetkompasse zur Navigation – gleiches dann 200 Jahre später die berühmt-berüchtigten Wikinger. Ein namentlich nicht bekannter Ingenieur schuf um 1320 herum die Windrose und somit die Kompassumrandung, der wir uns in modifizierter Form auch noch heute bedienen. Irgendwann bis zur „Amerikafahrt“ des Christoph erste OL-KarteKolumbus 1542 fiel auf, dass die älteren Kompasse immer wieder quasi untauglich wurden, der „Nordpol“ also nicht stabil war. Während seiner legendären Atlantikquerung kam er zu der Erkenntnis, dass je weiter er westwärts segelte, die Magnetnadel immer mehr sich vom eigentlichen „Nordwinkel“ her verschob – die „Deklination“ war erkannt und um 1600 herum fand der britische Forscher William Gilbert heraus, dass daran die Erde als ein Riesenmagnet selbst schuld war und die die anfangs verdächtigten Kompassbauer unschuldig. Um 1750 herum war es dann soweit, dass aus den schweren Schiffskompassen handliche Geräte wurden und in den frühen 1800-Jahren war das, was für unsere sportliche Tätigkeit des OL die Grundlage darstellt, erreicht: Die Landvermesser richteten die bis dahin nach Belieben ausgerichteten Karten einheitlich nach Nord aus. So gut wie unbekannt dürfte sein, dass es ausgerechnet „Turnvater“ Johann Christian Friedrich Guts Muths 1817 war, der in seinem Buch „Turnbuch für die Söhne des Vaterlands“ quasi die Grundidee für den OL legte. Er veröffentlichte einige damals speziell gezeichneten Karten und beschrieb das Prinzip des Einnordens sowie, dass man dieses trainieren solle um den Weg (sicherlich für den Kriegsfall angedacht) sicher zu bestimmen, auf dem man sich fortbewegen solle. Natürlich: Mit OL als Sport hatte das noch nichts zu tun, aber die Pfadfinderei könnte durchaus als mit „OL entfernt verwandt“ klassifiziert werden. Schon näher dem OL kommen dann die „Hare-and-Hound-Games*“ in Britannien, die um 1868 ein gewisser Walter Rye ins Leben rief, bei denen ein Läufer (der „Hare“, also der „Hase“) vor den Verfolgern (den „Hunden“) startete und den Kurs mit kleinen Signaturen oder simpel mit Papierschnitzeln in Abständen markierte – also quasi eine „Schnitzeljagd“. Da das meist in unbekanntem Gelände stattfand, wurden durchaus vorher auf Landkarten die Routen besprochen, ohne jedoch eine Karte mit zu führen. Irgendwann um 1883 herum fand das ähnlich auch in Schweden und seit 1887 in Norwegen statt. Zwischenzeitlich hatte um 1840 die schwedische Militärakademie mit Wettbewerben seiner Offiziersanwärter mit topografischen Schätzübungen begonnen und um 1886 kam bei dieser „Outdoorveranstaltung“ der schwedische Begriff „Orientering“ ins Reglement. Nur wenige Jahre später, am 28.Mai 1893, wurde im Rahmen des jährlichen Stockholmer Garnisionssportfestes von Crosslaufinteressenten das Kartenlesen während eines OL 1897Crosslaufs durchgeführt und als Begriff „Orienteringslöpning“ benannt. Zwei Jahre später wurde das dann mit festen Regeln in das jährliche Sportfest integriert und fand schnell auch Nachahmer in Norwegen und Britannien. Da sich zwischenzeitlich auch im zivilen Bereich Crossläufe wachsender Beliebtheit erfreuten, kam über das lange Laufen in unmarkiertem Gelände das Erkunden des Ziels via Karte „in Mode“ (Fjell running“) – und irgendwann der Begriff „Orienteering event“ . Erstmals aufgeschrieben am 14.Oktober 1897 im „Norsk Idraestblad“, als in diesem eine Ausschreibung* für einen „OL“ bei Kristiania“ (heute Oslo) erschien.

Diese Daten gelten heute weitläufig als „Geburtsstunde des OL“ und hinzu der Name des norwegischen Oberst O.C.W.Sylow, damals Vorsitzender des Norwegischen Sportverbandes, der zusammen mit dem Hauptmann Wettre aus den bis dato militärischen OL-Wettbewerben den ersten zivilen OL mit 8 Startern arrangierte.

 

OL-Entwicklung bis zum 2.Weltkrieg in Deutschland

Bedingt durch zunehmende internationale Verbindungen und Kontakte schon vor und dann verstärkt nach dem ersten Weltkrieg kam es auch zu ersten Kontakten mit der Idee des Natursports Orientierungslauf. Von Anfang an jedoch – auch durch die Verschiedenartigkeit der Art der internationalen Kontakte – gab es mehrere Linien des Orientierungssports in Deutschland,  die sich bis in die Neuzeit auswirken. 

 

Leichtathletik (Laufsport): Die damals durchweg in den Sommermonaten mit den Übergangszeiten Spätfrühling und Frühherbst betriebenen Laufdisziplinen wurden – dort rührt auch der bekannt Satz „Der Leichtathlet wird im Winter geboren“ her – hatte ab Spätherbst bis in den frühen Frühling hinein nur Training auf dem Programm, das in Großteilen, auch damals fehlender Hallenkapazität geschuldet war,  auf lange Läufe, größtenteils durch die freie Natur führte. Quais aus „Langeweile“ wurden dann mitunter eine Art Auflockerungselemente hinzu gefügt, Hindernisläufe, Spaßstaffeln, Transportläufe mit irgendwelchen mehr oder weniger sperrigen „Gepäckstücken“. Bisher nicht überliefert ist, wer dann wo auf die Idee kam, das bereits vorhandene topografische Kartenmaterial auch mal zum „freien Laufen“ einzusetzen. Vermutet wird, dass es durch Kontakte und/oder Teilnahme zu bzw. an bereits existierenden OL-Veranstaltungen in der benachbarten Schweiz und Dänemark, Skandinavien oder dem Baltikum zum Nachahmen in Deutschland kam. Vom heutigen OL natürlich noch weit entfernt, wurden in den Waldlauf jedoch Orientierungsaufgaben eingebaut und aus Erzählungen (Otto Spahn / Potsdam oder meines Vaters Friedrich-Wilhelm Wollenberg) von Orientierungsläufen schon Ende der 1920´ziger Jahre im südlichen Brandenburg  berichtet. Der bislang älteste schriftliche Nachweis datiert auf den Zeitungsbericht vom 31.Januar 1933 in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ auf einen am Vorwochenende durchgeführten OL des „Verbandes Brandenburgischer Athleten Vereine“ im Tegeler Forst, an dem auch mein Vater und Otto Spahn teilgenommen hatten. Bis 1939 wurde der OL dann zielgerichtet wie der gesamte Sport immer mehr auch zur vormilitärischen Ertüchtigung betrieben.

 

Wintersport (Skilanglauf):  Noch in den ausgehenden 1890´ziger Jahren hatte sich in Skandinavien der Ski-Orientierungslauf ebenfalls herausgebildet. Ähnlich wie in der Leichtathletik/Laufszene „schwappte“ das Orientieren während eines Wanderskilaufs  ebenfalls Mitte/Ende der 1920´ziger Jahre auch nach Deutschland. Allerdings habe ich bislang hierzu keine schriftlichen Nachweise finden können. 1936 Mannschafts-Patrouillenlauf zur Olympiade in Berlin – mit olympischer Anerkennung, allerdings durch das damalige IOC dem Wintersport zugerechnet und seitdem nie wieder  durchgeführt.

 

Wanderbewegung: Speziell durch die „Wandervögel“ schon vor dem ersten Weltkrieg wurde das Wandern nach topografischer Karte in Gruppenform betrieben. In den 1920´ziger Jahren waren einmal in der Arbeitersportbewegung (sowohl KPD- wie auch SPD-Arbeitersportvereine waren da aktiv, z.B. „Fichte“) als auch in sog. „bürgerlichen“ Vereinen wie dem „Harzclub“ Orientierungswanderungen sehr beliebt und wurden z.T. auch als interne Wettbewerbe durchgeführt, die ohne weiteres als „Orientierungswanderungen“ in kleinen Wandergruppen (4´er Teams) betrieben wurden. Zum Teil wurden diese mit anderen touristischen Aufgaben durchsetzt wie z.B. Himmelsrichtung nach natürlichen Objekten bestimmen (Ameisenhügel, Äste allein stehender Bäume, Mossbefall oder nachts Nordpolarstern oder auch per Uhrzeit anhand Sonnenstand und Mondstand usw.). Die Informationen hierzu stammen aus frühen Ausgaben von „Der Tourist“/DDR oder älterer Heimatblätter, z.B. des Harzclubs und/oder durch Erzählungen im Wander- und später auch Sportverein (bei mir konkret durch Fam. Schirmer / BSG Medizin Quedlinburg und Kurt Conrad / BSG Wissenschaft Quedlinburg sowie durch Kinder- und Jugendfotos nebst Erzählungen meiner Großeltern und meiner Mutter im kommunistischen Wanderverein und Pionierverband (Aufnahmen zwischen 1927 – 1933). Während die Arbeitersportvereine sich während der Nazizeit dann noch teilweise illegal zum Wandern trafen, kamen in die „bürgerliche Wanderbewegung“ mehr und mehr  auch NS-bedingte Elemente hinzu.

 

Bergsteigen: Klettersportler vor allem des sächsisch-böhmischen Raumes führten untereinander per topografischer Karte schon Mitte der 1920´ziger Jahre „Findigkeitswettbewerbe“ in kleinen Teams (meist 2´er Gruppen) durch. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 gingen viele, speziell die kommunistischen „Roten Bergsteiger“ in die Illegalität und wirkten vielfach unter Lebensgefahr im antifaschistischen Widerstand, etliche von ihnen, u.a. Kurt Schlosser, bezahlten ihren Widerstandskampf mit ihrem Leben. Auch hier beziehen sich meine Informationen hauptsächlich auf Veröffentlichungen im „Der Tourist“ und Erzählungen früherer Bergsteiger speziell der BSG „Kok Bergsteigerchor Kurt Schlosser“ Dresden, u.a. Lothar Leibinger, Manfred Roll sowie die „Geschichtlichen Daten zur Entwicklung des OL in der DDR“, Dr. Rolf Heinemann („38 Jahre OL in der DDR“), Druckschrift 1991

 

Pfadfinder: Diese Bewegung entstand ab ca. 1899 anfangs als „Anleitung zum Kundschafterdienst“ („Aids to Scouting“, General Baden-Powell , britische Armee) und löste speziell unter englischen Jugendlichen wegen des „Heldenstatus“ des General Baden-Powells im 2.britischen Kolonial-Burenkrieg derart Interesse aus, dass diese „Scouts“ spielten. Daraus entwickelte der General dann Regeln für Scouts, die schnell in ein Konzept zur Jugenderziehung (ab ca. 1907) mündete und 1908 zur Gründung der „Boy Scout Association“ führte, wobei Baden-Powell  die Sagenfigur des „Drachentöters und Ritters „St. Georg“ zum Namenspatron machte und eigentlich anfangs eine weitere Jugend- und sportangelehnte Organisation wie eben auch die Wandervögel, Arbeiterjugendbewegung  u.a. darstellte. Auch bei den Pfadfindern spielte und spielt das freie Orientieren mit Karte und Kompass eine wesentliche Rolle und führte das Abenteuerspielen hinzu, das besonders unter Kindern und Jugendlichen schnell beinahe weltweit schon vor dem ersten Weltkrieg Verbreitung, so auch ab 1908 und mündeten durch den Einfluss der Wandervogelbewegung in die „Bündnische Jugend“, die sich in diverse Bünde, z.T. auch konfessionsgebunden, entwickelte.

 

OL-Entwicklung in Deutschland nach dem 2.Weltkrieg bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten (1945 – 1990)

Nach der Zerschlagung des Faschismus in Deutschland und der Aufteilung des früheren Reichsgebietes in einmal den vier Besatzungszonen sowie der Aufteilung speziell der Ostgebiete in die neuen Grenzen in Polen, Tschechien, Sowjetunion (und somit Litauen, Russland), um nur einige zu nennen, waren Sport und sportliche Traditionen in den ersten Nachkriegsjahren erst einmal nur regionalen Hobbyenthusiasten vorbehalten und organisierte sich erst einmal regional völlig neu. Erst nach und nach formierten sich im Gebiet des Nachkriegsdeutschlands in den damaligen neu formierten Ländern wieder Sportvereine und –verbände. Wandern, Bergsteigen und Leichtathletik formierten sich neu und nach Gründung der Bundesrepublik (BRD)  in den drei Besatzungszonen Frankreichs, Großbritanniens und der USA am 29.Mai 1949 und der dadurch nachgezogenen Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in der sowjetischen Besatzungszone am 7.Oktober 1949 entwickelten sich die Sportarten und ihre Verbände getrennt voneinander, so auch die vier „Herkunftssportarten“ des OL, Wandern, Bergsteigen, Leichtathletik und Wintersport (Skisport in Lauf und Wandern), hinzu sicherlich auch Elemente der Pfadfinderei.

Beiden Entwicklungen war gemeinsam, dass jeglicher, auch ansatzweiser Bezug zum militär-fachlichem Hintergrund bei der Herausbildung und Entwicklungsgeschichte des OL völlig ausgeblendet wurde bzw. äußerst vage auf die militärischen Gründer verwiesen wurde. Das führte zu einer regelrechten Geschichtsverfälschung dieser Sportart, die auch dazu beigetragen hat, das sich der OL in Deutschland-Ost oder Deutschland-West äußerst kompliziert und vielfach in sich selbst widersprüchlich entwickelte. Jeder wollte unbedingt nur rein pazifistisch den OL als reinen Natursport betrachtet sehen. Während in der DDR zumindest noch die antifaschistische Tradition der „Roten Bergsteiger“ und Traditionen der Arbeitersportvereine und somit der „Teamsport“ herangezogen wurde und neben der aus der Wandervogelbewegung hervorgegangenen sportlich-touristischen Bewegung eine touristische OL-Version parallel zur vormilitärischen OL-ähnlichen Sportversion des „Geländelaufes“ sich entwickelte, wurde in der früheren BRD via Skisport, Wanderbewegung  und Pfadfinderaktivität der OL ohne jegliche Bezugnahme zur Vorgeschichte geprägt. Das heißt, dass sich zwar ältere, die die Kriegswirren überstanden hatten, sich auch der nichtmilitärisch geprägten OL-ähnlichen Versionen orientierten, den Bezug zum leistungsorientierten Wettkampfsport entweder bewusst ausblendeten oder eben tatsächlich keinen Bezug dazu hatten. So ist es schon erstaunlich zu erfahren, dass ein Versuch schwedischer Orientierungsläufer 1958, den aktuellen OL in Wettkampfform zu demonstrieren und dazu sogar ein Fernsehbericht ausgestrahlt wurde, es zur Verwunderung der Schweden zu keiner Resonanz kam. Erst durch aktives Miterleben von OL in Skandinavien selbst kam es zur Herausbildung von OL-Aktivitäten speziell im Wintersport und Gründung einer OL-Gruppe im Skiverband, der dann, wie aus der DDR der DWBV (Deutscher Wanderer- und Bergsteigerverband) zu den Gründungsmitgliedern der Internationalen Orientierungslauf Föderation (IOF) gehörte.

 

Text: Bernd Wollenberg
Karten: Babylonien vor 4000 Jahren / 1890 Norwegen / erste OL Karte / OL 1897